Ordnungshaft gegen Zuhörer bei Verhandlung = Rechtsbeugung durch Richter?

Ein Hamburger Richter verhängte gegen zwei Zuschauer einer Gerichtsverhandlung, die die Verhandlung massiv gestört hatten, je drei Tage Ordnungshaft, die auch sofort vollstreckt wurden. Mit der Bearbeitung der Anträge der Vertreter der beiden inhaftierten Zuhörer ließ sich der Richter zwei Tage Zeit, in der er die Voraussetzungen der Ordnungshaft nochmals überprüfte und erst dann die Sache an das Oberlandesgericht zur Prüfung vorlegte. Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, der Richter habe Rechtsbeugung begangen und sei wegen der verspäteten Vorlage auch der Freiheitsberaubung zu Lasten der beiden Zuhörer schuldig.

Der Bundesgerichtshof verwies die Sache an das LG Hamburg zurück, da in der zögerlichen Bearbeitung allein noch kein bewußter schwerer Rechtsbruch erkennbar sei. Dieser sei jedoch erforderlich, um den angeklagten Richter wegen Rechtsbeugung zu verurteilen. Gleichwohl erkannte der BGH, dass im Falle einer Verurteilung wegen Rechtsbeugung der Richter auch der Freiheitsberaubung schuldig sei.

nach oben

Quelle: Pressemitteilung des BH Nr. 63/2001 vom 29.08.01

Rechtsbeugungsverfahren gegen den Hamburger Amtsrichter Schill muß neu verhandelt werden

Der 5. (Leipziger) Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten das Urteil des Landgerichts Hamburg gegen den Amtsrichter Schill aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht Hamburg hatte den Angeklagten wegen Rechtsbeugung zu einer Geldstrafe verurteilt.

In einer von Richter Schill geleiteten Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Hamburg war es zu wiederholten massiven Störungen durch Zuhörer gekommen, in deren Verlauf der jetzt angeklagte Richter gegen zwei Störer jeweils drei Tage Ordnungshaft verhängte, die sofort vollstreckt wurden.

Noch am selben Tage legten die Prozeßbevollmächtigten der Störer Beschwerde gegen die Ordnungshaftbeschlüsse ein. Der Richter leitete die Beschwerden jedoch erst am Nachmittag des übernächsten Tages an das für die Entscheidung zuständige Oberlandesgericht weiter.

Er bearbeitete zunächst vorrangig andere Rechtssachen, er informierte sich über die Rechtslage bei der Verhängung von Ordnungshaft und trug den von ihm gewonnenen Erkenntnissen - wenn auch formal unzureichend - durch Ergänzungen des Protokolls und einen Vermerk Rechnung. Nachdem die Akten beim Oberlandesgericht eingegangen waren, hob dieses die Ordnungshaftbeschlüsse alsbald aus formalen Gründen auf und ordnete die Haftentlassung der Zuhörer an.

Das Landgericht hat es als erwiesen angesehen, daß der angeklagte Richter die Aufhebung der Ordnungshaftbeschlüsse durch das Oberlandesgericht für möglich hielt und daß er die Weiterleitung der Beschwerdeschriftsätze gezielt verzögerte, um eine vorzeitige Entlassung der Störer aus der Ordnungshaft zu verhindern. Diese bewußte Verzögerung des begehrten Rechtsschutzes hat es als elementaren Verstoß gegen die Rechtsweggarantie und das Beschleunigungsgebot gewertet und damit den Tatbestand der Rechtsbeugung als erfüllt angesehen.

nach oben

Der Bundesgerichtshof hat diese Wertung auf der Grundlage der bisher erhobenen Beweise für rechtsfehlerhaft erachtet, zumal das Landgericht bei der Beweiswürdigung ein zu enges Verständnis von dem dem Richter bei der Erledigung seiner Dienstgeschäfte einzuräumenden zeitlichen Spielraum zugrundegelegt hat. Zwar wäre aufgrund des für Haftsachen allgemein geltenden Beschleunigungsgrundsatzes im vorliegenden Fall eine zügigere Bearbeitung der Beschwerden wünschenswert und unter Berücksichtigung der sonstigen dienstlichen Verpfichtungen und privaten Interessen des Richters auch zumutbar gewesen.

Ein schwerwiegender bewußter Rechtsbruch, wie ihn der Tatbestand der Rechtsbeugung voraussetzt, liege - so der Bundesgerichtshof - in der zögerlichen Bearbeitung allein aber noch nicht. Er käme nur dann in Betracht, wenn der Richter mit seiner Verfahrensweise aus sachfremden Erwägungen gezielt zum Nachteil der Zuhörer gehandelt hätte. Dies sei vom Landgericht bislang nicht hinreichend belegt.

nach oben

Die Sache muß daher erneut umfassend geprüft werden. Sollte dies wiederum zu einem Schuldspruch wegen Rechtsbeugung führen, wird der Angeklagte - wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision zutreffend geltend gemacht hat - zugleich wegen Freiheitsberaubung zu verurteilen sein.

Urteil vom 4. September 2001 - 5 StR 92/01

Neu geschrieben

Hauptnavigation