Zu den Anforderungen an ein Versammlungsverbot

Das Bundesverfassungsgericht erteilte der Rechtsauffassung des OVG Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf eine von der NPD angemeldete Demonstration eine deutliche Absage. Dieses hatte, verkürzt gesagt, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs, welcher die Demonstration hätte stattfinden lassen können, verneint, weil zu befürchten sei, dass es zu neonazistischen Äußerungen komme, unabhängig davon, ob die Verwirklichung von Straftaten zu befürchten sei. Konkreter Anlaß für ein Verbot, etwa die voraussichtliche Begehung von Straftaten, bestand nicht.

Das BVerfG stellte demgegenüber klar, dass nicht die bloße Gesinnung und erwartete Meinungsäußerungen Anknüpfungspunkte für das Verbot von Versammlungen sein dürfe, sondern das grundgesetzlich gewährte Recht auf Versammlungsfreiheit nur dort eingeschränkt werden dürfe, wo Gefahren für andere grundgesetzlich geschützte Rechtsgüter drohen.

Das grundrechtlich vorgesehene Instrumentarium zum Schutz bzw. Einschränkung einzelner Grundrechte bilde eine Schranke, die nicht durch Richterrecht aufgehoben werden dürfe.

Quelle: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 74/2004 vom 29. Juli 2004

Dazu Beschluss vom 23. Juni 2004 - 1 BvQ 19/04 - (siehe auch Begründung des Beschlusses)

Zu Einschränkungen von Versammlungen wegen des Inhalts von Äußerungen

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am 23. Juni 2004 im Wege der einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des NPD-Landesverbands Nordrhein-Westfalen (Antragsteller; ASt) gegen das Verbot der für den 26. Juni 2004 in Bochum vorgesehenen Versammlung durch die zuständige Versammlungsbehörde wieder hergestellt. Der Beschluss war ohne Begründung bekanntgegeben worden. Die Gründe für die Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts liegen mittlerweile vor. Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

Zum Sachverhalt:

Der ASt hatte für den März 2004 die Durchführung zweier Aufzüge mit Kundgebungen in Bochum unter dem Motto: "Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk!" angemeldet. Gegen das für sofort vollziehbar erklärte Versammlungsverbot erhob der ASt Widerspruch. Sein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebendenden Wirkung seines Widerspruchs hatte in erster Instanz Erfolg, während das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen den Antrag des ASt auf Gewährung von Eilrechtsschutz gegen das Versammlungsverbot ablehnte. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat es in einem von dem ASt angestrengten Eilverfahren abgelehnt, eine einstweilige Anordnung zu dessen Gunsten zu erlassen (Pressemitteilung Nr. 29/04 vom 12. März 2004). Der ASt meldete für den 26. Juni 2004 einen Aufzug mit dem Thema "Keine Steuergelder für den Synagogenbau. Für Meinungsfreiheit." an. Die Versammlungsbehörde sah in der geplanten Versammlung eine Ersatzveranstaltung und verwies auf ihr früheres Verbot. Der Antrag des ASt auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes scheiterte erneut vor dem OVG. In seinem erneuten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung macht der ASt eine Verletzung seiner Grundrechte auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) geltend.

Aus den Gründen der Entscheidung ergibt sich im Wesentlichen: Vorliegend wäre der Zweck der Versammlung bei einem Abwarten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens höchstwahrscheinlich nicht mehr erreichbar. Ein Abwarten würde den Grundrechtsschutz vereiteln. Deshalb können hier ausnahmsweise schon im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Erfolgsaussichten einer noch ausstehenden Verfassungsbeschwerde überprüft werden.

Danach ist die Verbotsverfügung offensichtlich rechtswidrig. Die Versammlungsbehörde und das OVG haben ihre Entscheidung ausschließlich auf den Inhalt der zu erwartenden Äußerungen gestützt. Eine Rechtsgrundlage für das ausgesprochene Versammlungsverbot ist nicht erkennbar. Das OVG geht davon aus, dass Versammlungen mit demonstrativen Äußerungen neonazistischer Meinungsinhalte unter Berufung auf verfassungsimmanente Beschränkungen bzw. zum Schutz der öffentlichen Ordnung verboten werden können, und zwar unabhängig davon, ob Straftaten drohen. Auf diese Rechtsauffassung kann ein Versammlungsverbot nicht gestützt werden.

Staatliche Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung finden ihre Rechtfertigung ausschließlich in den in Art. 5 Abs. 2 GG aufgeführten Schranken auch dann, wenn die Äußerung in einer oder durch eine Versammlung erfolgt. Meinungsäußerungen können inhaltlich - außer zum Schutz der Jugend und der persönlichen Ehre - nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze beschränkt werden. Ein solches Gesetz muss dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen.

Insbesondere die Strafgesetze knüpfen Beschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen nicht an das Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Ordnung an. In der pluralistischen Demokratie des Grundgesetzes sind Meinungsäußerungen grundsätzlich frei, es sei denn, der Gesetzgeber hat im Interesse des Rechtsgüterschutzes Schranken im Einklang mit Art. 5 Abs. 2 GG festgelegt. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist ein Recht auch zum Schutz von Minderheiten; seine Ausübung darf nicht allgemein und ohne eine tatbestandliche Eingrenzung, die mit dem Schutz des Grundrechts übereinstimmt, unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die geäußerten Meinungsinhalte herrschenden sozialen oder ethischen Auffassungen nicht widersprechen. Verletzen antisemitische oder rassistische Äußerungen Strafgesetze, so liegt darin zugleich eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit. In einem solchen Fall kann sogar ein Versammlungsverbot in Betracht kommen.

Die öffentliche Ordnung ist auch keine verfassungsimmanente Grenze für den Inhalt rechtsextremistischer Meinungsäußerungen. Die Konkretisierung anzuerkennender verfassungsunmittelbarer Grundrechtsschranken unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes. Diese bedürfen daher einer gesetzlichen Grundlage. Schon daran fehlt es hier.

Einschränkungen von Versammlungen wegen des Inhalts der mit ihnen verbundenen Äußerungen folgen auch nicht aus der Entscheidung des Grundgesetzes für eine wehrhafte Demokratie. Die Sperrwirkung der dafür im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehenen Schutzvorkehrungen verbietet es, sonstige Maßnahmen zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit ungeschriebenen verfassungsimmanenten Schranken zu rechtfertigen. Grundrechtsschranken dürfen nicht durch Richterrecht errichtet werden.

Ein Versammlungsverbot aufgrund unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit kommt hier nicht in Betracht. Die Staatsanwaltschaft hat den Tatbestand der Volksverhetzung schon für das frühere Versammlungsmotto verneint. Unerheblich ist, ob die Abschwächung des Versammlungsmottos gegenüber dem der ursprünglich geplanten Versammlung nur,wie das OVG meint, eine kosmetische Korrektur war. Ermächtigungen zur Beschränkung grundrechtlicher Freiheiten knüpfen nicht an die Gesinnung, sondern an Gefahren für Rechtsgüter an, die aus konkreten Handlungen folgen.

Beschluss vom 23. Juni 2004 - 1 BvQ 19/04 -

Karlsruhe, den 29. Juli 2004

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