Nutzungsentschädigung bei Ersatzlieferung?

In der Praxis kommt es häufiger vor, dass Geräte innerhalb der Garantiezeit defekt werden und ausgetauscht werden müssen. Solange die Geräte gelaufen sind, hat der Käufer Nutzungen daraus gezogen,sprich das Gekaufte genutzt und abgenutzt. Der Gesetzgeber hat dafür einen Anspruch des Verkäufers auf Ausgleich der gezogenen Nutzungen zugelassen. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Abnutzung durch den Käufer einleuchtend.

Wenn man aber davon ausgeht, dass der Verkäufer bei seinem Lieferanten selbst Regress nehmen kann, erhält der Verkäufer jetzt mehr Geld als bei mangelfreier Lieferung, zu der er verpflichtet ist. Dem Käufer, der seine Rechte geltend macht, entstehen so höhere Kosten als ursprünglich geplant und kalkuliert. Das kann wiederum nicht sein, denn der Käufer konnte eine mangelfreie Sache ohne "versteckte Kosten" verlangen.

Der Sachverhalt enthält einige Brisanz: Was, wenn der Verkäufer hätte nacherfüllen, also zum Beispiel, reparieren, können, aber statt dessen einfach eine neue Sache als Ersatz liefert, die alte herausverlangt und dann Nutzungsausgleich verlangt? Die enormen praktischen Schwierigkeiten, die mit einer Beurteilung solcher Fälle einhergehen, lassen einen Fingerzeig durch den EUGH ratsam erscheinen, zumal der BGH klarmacht, dass er aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage zu Gunsten einer Nutzungsentschädigung entscheiden müsste. Daher legte der BGH die Sache dem EUGH vor.

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Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 118/2006 vom 16.08.06

Nutzungsentschädigung bei Ersatzlieferung?

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 des EG-Vertrages die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB, die den Käufer im Falle einer Ersatzlieferung dazu verpflichtet, an den Verkäufer eine Vergütung für die Nutzung der zunächst gelieferten mangelhaften Kaufsache zu zahlen, mit Europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte eine Kundin im Sommer 2002 für ihren privaten Bedarf bei der Beklagten, einem Versandhandelsunternehmen, ein "Herd-Set" zum Preis von 524,90 Euro bestellt, das im August 2002 geliefert wurde. Im Januar 2004 stellte die Kundin fest, dass sich die Emailleschicht im Backofen abgelöst hatte. Da eine Reparatur des Gerätes nicht möglich war, tauschte die Beklagte den Backofen vereinbarungsgemäß noch im Januar 2004 aus. Für die Nutzung des ursprünglich gelieferten Gerätes verlangte sie von der Käuferin die Zahlung einer Vergütung von zunächst 119,97 Euro, später 69,97 Euro. Die Käuferin zahlte diesen Betrag an die Beklagte.

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Gestützt auf eine entsprechende Ermächtigung durch die Käuferin fordert der Kläger, ein Verbraucherverband, von der Beklagten Rückzahlung dieses Betrags. Weiterhin verlangt der Kläger unter anderem von der Beklagten, es zu unterlassen, im Zusammenhang mit der Lieferung von Waren, die als Ersatz für mangelhafte Kaufgegenstände zur Verfügung gestellt werden, von Verbrauchern für die Nutzung der mangelhaften Ware eine Entschädigung zu verlangen.

Das Landgericht hat dem Zahlungsantrag stattgegeben und den Unterlassungsantrag abgewiesen. Die hiergegen gerichteten Berufungen beider Parteien hat das Oberlandesgericht unter Zulassung der Revision zurückgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage auch hinsichtlich des Zahlungsanspruchs. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision den Unterlassungsantrag weiter.

Nach § 439 Abs. 4 BGB kann ein Verkäufer, der zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache liefert, vom Käufer Rückgewähr der mangelhaften Sache -nach Maßgabe der §§ 346 bis 348- BGB verlangen. Nach der Entscheidung des Gesetzgebers schließt dies auch den in §§ 346 Abs. 1, 347 BGB ausdrücklich erwähnten Anspruch des Verkäufers auf Herausgabe der Nutzungen ein, die der Käufer aus der mangelhaften Sache bis zu deren Rückgabe gezogen hat. Diese Regelung ist im rechtswissenschaftlichen Schrifttum äußerst umstritten. Landgericht und Oberlandesgericht haben sich der verbreiteten Kritik angeschlossen und im Wege der Auslegung einen Anspruch der Beklagten auf Nutzungsvergütung verneint.

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Dem ist der Bundesgerichtshof nicht gefolgt. Er teilt zwar die Bedenken, die von einer Vielzahl von Stimmen gegen einen Anspruch des Verkäufers auf Zahlung einer Nutzungsvergütung in derartigen Fällen vorgebracht werden. Anders als die Vorinstanzen sieht er jedoch keine Möglichkeit, die gesetzliche Regelung im Wege der Auslegung zu korrigieren.

Dem steht neben dem eindeutigen Gesetzeswortlaut insbesondere der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachte eindeutige Wille des Gesetzgebers entgegen, dem Verkäufer für den Fall der Ersatzlieferung auch einen Anspruch auf Herausgabe der vom Käufer gezogenen Nutzungen zuzubilligen. Eine einschränkende Auslegung des § 439 Abs. 4 BGB, die sich in Widerspruch zu dem Wortlaut und dem eindeutig erklärten Willen des Gesetzgebers setzen würde, ist unter Berücksichtigung der Bindung der Rechtsprechung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zulässig.

Der Bundesgerichtshof hat aber Zweifel, ob die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB in ihrer den Senat bindenden Auslegung mit der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufes und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. Nr. L 171/12 vom 7. Juli 1999, Verbrauchgüterkaufrichtlinie) in Einklang steht, nach deren Art. 3 Abs. 2 bis 4 die Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes des Verbrauchsgutes (auch) durch Ersatzlieferung für den Verbraucher unentgeltlich sein und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen muss.

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Auch zu dieser Frage werden im rechtswissenschaftlichen Schrifttum unterschiedliche Auffassungen vertreten. Die Entscheidung darüber, ob die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie der in § 439 Abs. 4 in Verbindung mit §§ 346 bis 348 BGB statuierten Verpflichtung des Verbrauchers entgegenstehen, dem Verkäufer im Falle der Ersatzlieferung Wertersatz für die Nutzung des ursprünglich gelieferten Verbrauchsgutes zu leisten, ist gemäß Art. 234 des EG-Vertrages dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vorbehalten. Der Bundesgerichtshof hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die erörterte Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Beschluss vom 16. August 2006 - VIII ZR 200/05

LG Nürnberg-Fürth - 7 O 10714/04 ./. OLG Nürnberg - 3 U 991/05

Karlsruhe, den 16. August 2006

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