Gute Aussichten für Musiker - wirklich?

Die europäische Kommission hat unlängst vorgeschlagen, das Urheberrecht für Werke der Musik von 50 auf 95 Jahre zu verlängern. Nein, so ist das nicht richtig. Eine Verlängerung der Schutzrechte ist lediglich für den Schutz von Tonaufnahmen und Tonträgern vorgesehen. Der Kommissionsvorschlag feiert das als "Stärkung der Künstlerrechte" wodurch der Künstler nun länger von seinen Plattenverkäufen profitieren könne. Knapp daneben ist auch vorbei.

Der Kommissionsvorschlag hilft den meisten aufführenden Musikern nämlich wenig bis gar nicht, denn es ist unwahrscheinlich, dass wesentlich mehr Geld hereinkommt als vorher. Dagegen ist es wahrscheinlich, dass dieses Geld unter wesentlich mehr Anspruchsberechtigten verteilt werden muss. Deutsche (aufführende)Musiker, die nicht gerade mit Gold- oder Platinschallplatten gesegnet und nicht bei einem Major Label untergekommen sind, beziehen ihre Haupteinnahmen von der GEMA nach einem bestimmten Schlüssel für die auf Datenträger gepressten Werke, wobei es schon bald mehr darauf ankommt, dass diese Werke angemeldet sind und gelegentlich im Radio gespielt werden, als dass sie tatsächlich in nennenswertem Umfang verkauft wurden und werden.

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Wer als Musiker auf den Selbstverlag angewiesen ist, bekommt noch weniger. Werden sich denn die Werke unbekannterer Musiker noch in 50 Jahren verkaufen? Oder in 95 Jahren? Diese Vorstellung ist weltfremd. Fakt ist, dass nur die absoluten Topstars der Branche oder einer Musikrichtung auch nach 10 Jahren oder länger noch nennenswerte Verkäufe mit ihren alten Platten realisieren ( Abba, Beatles, Elvis, Nirvana, Stones usw.). Gerade diese haben aber auch günstige Verträge aushandeln können, was den meisten Musikern verwehrt blieb.

Im Klassikbereich sind ältere Aufnahmen nur für Spezialisten interessant welche eine Mono-Aufnahme oder alte Stereoaufnahme nicht nur des Klangs wegen goutieren können.

Abseits der ganz großen Namen wird vergessen und verramscht. Und selbst wenn jemand aus der zweiten Reihe ( Backstreet Boys, New Kids on the Block, Spice Girls usw.) noch nachgefragt würde: In den begrenzten Displays der Media-Abteilungen und Plattenläden haben nach einer kurzen "Neu-" Phase nur die Top- und Longseller einen Platz. Selbst wenn man wollte, man würde die Platten vieler Stars und Sternchen von früher nicht mehr so einfach erwerben können, schon jetzt nicht mehr und erst recht nicht nach 50 oder 95 Jahren.

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Was also bedeutet es, die Schutzfrist für Tonaufnahmen und Tonträger zu verlängern?

Es bedeutet vor allem eine Stärkung der Top- und Longseller sowie der Verwerter, also meist der großen Labels. Diese könnten die x-te Anthologie oder Kompilation der bei ihnen unter Vertrag stehenden Musiker herausbringen,z.B. zu Weihnachten (Bing Crosbys "White Christmas", geschrieben von Irving Berlin, ist der perfekte Longseller) und jedem anderen länger verbieten, die Aufnahmen für eigene Projekte zu verwenden.

Eine Verlängerung der Schutzdauer konterkariert also genau die Ziele, die die Kommission im Schilde führt, da der durchschnittliche aufführende Musiker schon längst seine Rechte verkauft hat - und zwar am Anfang. Eine spürbare Verbesserung der Einnahmensituation unbekannterer Musiker ist damit nicht verbunden. Dafür wird eine Verknappung alter Aufnahmen neu eingeführt, was den Zielen des Urheberrechts, nämlich nach angemessener Zeit zur Verwertung das Werk der Allgemeinheit zu übergeben, zuwiderläuft

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Ein lesenswertes Interview mit dem Urheberrechtler Prof. Martin Kretschmer gab es am 11. Oktober 2008 im Feuilleton der Samstagsausgabe der SZ , welches dankenswerter Weise vom Interviewpartner Matthias Spielkamp online gestellt wurde und mit reichhaltigen weiterführenden Links versehen ist.

Ebenfalls ein guter Einstieg ist ein Artikel, auch zu den kulturellen Aspekten, von Jens-Uwe Völmecke in der NMZ.de

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