Netzsperren: Mit voller Kraft am Ziel vorbei

Obwohl unsere News selten Rechtspolitik als Thema haben, hier ist es angebracht: Das Bemühen des Bundesfamilienminsteriums um die Sperrung kinderpornographischer Inhalte (Access Blocking) durch ein Gesetz erscheint für alle zunächst verständlich und nachvollziehbar. Niemand möchte Derartiges im Netz sehen müssen. Leider ist genauso offensichtlich, wie untauglich diese Maßnahme zur Bekämpfung von Kinderpornographie ist.

Die parlamentarische Opposition aus FDP und Grünen wehrt sich vehement gegen den Gesetzesentwurf BT-Drucksache 394/09, der in erster Lesung vom Bundeskabinett gebilligt wurde.

Die Gründe der Untauglichkeit

Mit dem Gesetz sollen deutsche Internetprovider verpflichtet werden, aufgrund einer vom BKA erstellten geheimen Liste den Zugang zu kinderpornographischen Inhalten zu sperren und statt dessen eine Seite mit einem Stoppschild zu zeigen. Die Netzsperre ist aber selbst für technisch nicht versierte Nutzer leicht zu umgehen. Die Inhalte selbst bleiben abrufbar.

Die Gesetzesbegründung, Sperr- und Löschungsverfügungen seien wegen des schnellen Umziehens dieser Inhalte nur begrenzt nützlich, geht aber fehl. Ist es denn besser, die Inhalte nach wie vor zugänglich zu lassen? Wer hat denn was davon? Nur wo nichts ist, kann auch nichts abgerufen werden. Es sind alle rechtlichen Mittel vorhanden, um solche Angebote schnell von deutschen Servern zu entfernen. Was aber steht in der Gesetzesbegründung? Alternativen: Keine.

Kritik am Gesetz und am Vorhaben als solches

Erstens: Weil die Sperre als solche leicht zu umgehen ist, ist sie untauglich. Wirklich wirksam wäre nur die Entfernung der Inhalte, was leicht möglich ist, denn der Besitz und die Verbreitung von Kinderpornographie ist strafbar. Das gilt auch für Hostprovider, also diejenigen, auf deren Servern die Inhalte liegen. Die müssen nach Kenntnis diese Inhalte sofort löschen oder sperren.
Zweitens: Unbescholtene Bürger sehen sich kriminalisiert. Entgegen Ihrer Aussage in der FAZ vom 23.03.2009:

FAZ: Frau Zypries hat aber auch zu bedenken gegeben, dass die Kommunikationsdaten von Millionen unbescholtener Bürger ausgewertet und gefiltert werden.

Ursula von der Leyen: Das ist unzutreffend. Bei unserem Verfahren werden Anfragen, die sich auf Internetseiten mit kinderpornographischem Inhalt beziehen, lediglich umgeleitet. Eine Auswertung und Filterung der Internetkommunikation findet nicht statt. Wir werden sehr zielgenau dabei arbeiten.

Interview in der FAZ vom 23.03.2009

soll das BKA weit reichende Protokollierungsmöglichkeiten haben, insbesondere personenbezogene Daten von denjenigen speichern können, die auf die Server absichtlich oder unabsichtlich zugegriffen haben. Es soll ein neuer §8a ins TMG eingeführt werden:

Die Diensteanbieter dürfen, soweit das für die Maßnahmen nach den Absätzen 2 und 4 erforderlich ist, personenbezogene Daten erheben und verwenden. Diese Daten dürfen für Zwecke der Verfolgung von Straftaten nach § 184b des Strafgesetzbuchs den zuständigen Stellen auf deren Anordnung übermittelt werden.

Als Anwalt drängt sich einem folgendes Bild auf: Gegen den solchermaßen bislang unbescholtenen Bürger, der zufällig über diese Seite gestolpert ist oder dessen Browser (siehe Link) die Seite "vorgeladen" hat, man muss also nicht einmal die Inhalte wahrgenommen haben, wird ein Anfangsverdacht begründet. Es folgen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei. Die Adresse wird ermittelt. Bei wenig feinfühligen Beamten könnte sich folgendes - nicht an den Haaren herbeigezogene - Szenario ergeben:

Sagen Sie, Ihr(e) Nachbar(in) XY, wie ist der/die denn so? .... Achja, und wie steht er/sie so zu Kindern? Hat er/sie Ihnen schon einmal was angeboten, sie wissen schon, Bilder von Kindern, die, ja, mit Erwachsenen? Nein?, Naja, danke.

Was diese Art von Ermittlungen für den Ruf der Person im Umfeld bedeuten muss ich nicht näher erläutern. Ob schuldig oder nicht: Die Person ist ruiniert.

Drittens: Das Gesetz ist möglicherweise europarechtswidrig, so Prof. Dr. Thomas Hoeren im beck-blog vom 11.05.2009.

Viertens: Das Gesetz ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig, wie bereits der Kollege Stadler schreibt, da es ungeeignet zur Erreichung der Ziele ist und Grundrechte ohne Notwendigkeit einschränkt, denn die vorhandenen und tauglichen gesetzlichen Mittel (Sperrung, Strafverfolgung) werden nicht vorher ausgeschöpft.

Weitere bedenkliche Umstände

BKA verweigert Einsicht in Provider-Sperrverträge via Internet-Law.
Undurchsichtige Kinderschutzorganisation unterstützt Internetsperre.

Die Ministerin geht davon aus, dass solche Inhalte leicht abrufbar wären und jeder darüber stolpern könnte. Diese Annahme ist falsch: Wären solche Inhalte leicht abrufbar, etwa durch eine Suchmaschinenindizierung, wären sie einer zunehmenden Allgemeinheit bekannt und würden sofort gesperrt. Da diese Inhalte aber offensichtlich kriminell sind, sind sie von den Anbietern gesteuert nicht ohne weiteres auffindbar und abrufbar - das Gesetz regelt hier also mit Macht einen unwahrscheinlichen Ausnahmefall. Mit voller Kraft am Ziel vorbei.

Dreht sich so aber nicht die Argumentation im Kreis? Muss man nicht davon ausgehen, dass die Abrufer solcher Seiten gewußt haben was sie da aufrufen? Nein. Es gibt mehr als genug technische Möglichkeiten, wie ein Internetnutzer ungewollt und sogar unbewußt auf solche Inhalte treffen kann, wenngleich das sehr selten sein dürfte.

Die Ministerin geht davon aus, dass hinter den Anbietern solcher krimineller Inhalte eine "Industrie" steckt. Das ist sowohl unbewiesen als auch falsch. Eine "Industrie" erfordert Wertschöpfung, diese Inhalte aber sind im Web nicht sichtbar kommerzialisiert, da sie zumindest in Deutschland sofort gesperrt würden.

Ergänzung: Zur unsicheren Faktenlage, auf welche sich die Ministerin stützt, siehe:Von der Leyens unseriöse Argumentation (Zeit online, 13.05.09, 13:38 Uhr).

Das beharrliche Festhalten der Ministerin an ihrem Gesetzentwurf trotz der massiven öffentlichen Kritik nährt die Befürchtung, dass es hier nicht um einen vorgeblich wirksamen Schutz handelt, sondern um Wahlkampf. Das Jahr 2009 ist ein Superwahljahr. Hier wurde ein Thema besetzt zu dem alle redlichen Menschen (vorsorglich erwähnt: auch ich) dieselbe Meinung haben: Kinderpornographie gehört nicht nur verboten, sondern auch bekämpft. Aber bitte mit tauglichen Mitteln. Der Verein Care Child e.V. machte es vor: Von 20 angezeigten Seiten wurden 16 Seiten binnen 24 Stunden gesperrt. Es geht doch.

Der Ministerkollege zu Guttenberg aber scheint Gegner der Internetsperre in die Nähe von Kinderpornosympathisanten rücken zu wollen. Nach dem Motto: Wer nicht mein Freund ist, ist mein Feind:

Es macht mich schon sehr betroffen, wenn pauschal der Eindruck entstehen sollte, dass es Menschen gibt, die sich gegen die Sperrung von kinderpornographischen Inhalten sträuben. Das ist nun wirklich eines der wichtigsten Vorhaben in vielerlei Hinsicht.

ARD: Tagesschau vom 08.05.09

Man fragt sich in diesem Zusammenhang: Welche Hinsichten sind denn im "vielerlei" noch versteckt? Etwa doch die Schaffung einer Infrastruktur die unerwünschte Inhalte im Web zensieren hilft?

Bislang hat es den Anschein, als sollten erstmal im Wege der Onlinefahndung mögliche Konsumenten gefunden werden und erst viel später, wenn überhaupt, eine echte Bekämpfung erfolgen.

Aber die Demokratie hat ihre eigenen Spielregeln: Durch Unterstützung (oder auch nicht) der bekannten Online-Petition kann jeder seine Ansicht dazu äußern. So kann man auch außerhalb des Wahllokals seine Stimme erheben.

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