Kein Eilantrag in Sachen Stuttgart 21 zugelassen

Der Teilabriss des Stuttgarter Hauptbahnhofs geht weiter. Über den Sinn oder Unsinn des Projekts Stuttgart 21 wird schon an anderer Stelle ausführlich diskutiert. Einem Eilantrag auf Einstellung der Abrißarbeiten hat das OLG Stuttgart eine Absage erteilt.

Antragsteller war der Enkel und Erbe des Architekten Paul Bonatz, der den Stuttgarter Hauptbahnhof gestaltet hatte.

Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt ‘…’ Dringlichkeit voraus. Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Zuwarten von mehr als acht Wochen regelmäßig dringlichkeitsschädlich ‘…’

OLG Stuttgart, AZ: 4 U 106/10

Das OLG hat sich also nicht mit der Frage des Urheberrechts des Architekten beschäftigt, sondern die Sache aus anderen Gründen scheitern lassen. Insbesondere war für die gewählte Verfahrensart, hier die Einstweilige Verfügung, die erforderliche Dringlichkeit des Anliegens aus Sicht des Gerichts nicht gegeben. Der Antragsteller habe sich einfach zuviel Zeit gelassen, so das OLG. Damit sei ihm das Verfahren des Einstweiligen Rechtsschutzes verwehrt, weil nicht mehr angenommen werden könne, dass er es eilig habe.

Das OLG mußte sich so nicht mit der Frage des Urheberrechts des Architekten auseinandersetzen. Wir wagen eine kurze Expertise anhand der uns bekannten, wenigen Fakten:

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Eine vertragliche Vereinbarung, wonach Paul Bonatz einer Änderung der Gestaltung des Bahnhofsgebäudes im Vorhinein bei guten Gründen zugestimmt hätte, bestand nicht ausdrücklich für die Zeit nach der Errichtung, aber tendenziell. Die Frage wäre demnach nach allgemeinen urheberrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen, also nach den § 14 (Schutz vor Entstellung), 23 (Schutz vor Bearbeitung)und 39 UrhG (Schutz vor Änderungen des Werks).

Allerdings steht das Urheberrecht des Architekten nicht allein in der Welt: Ihm gegenüber steht das Nutzungsinteresse des Bauherrn.

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Das war auch dem Architekten nicht unbekannt, hierzu ein Auszug aus dem seinerzeitigen Architektenvertrag mit Wertung des LG Stuttgart:

In dem Architektenvertrag von 1913 hatte Paul Bonatz unter § 5 ein Recht der staatlichen Eisenbahnverwaltung zur Vorgabe von Änderungen akzeptiert, die sich „im Laufe der Bauzeit aus einer Verschiebung des Verwendungszwecks der Räume aus den Ergebnissen der Submission oder aus sonstigen bei der Ausführung sich ergebenden Gründen nach Ansicht der Verwaltung sich als notwendig herausstellen sollten“. Diese Klausel besitzt zwar keine Gültigkeit für die Zeit nach Errichtung des Bauwerks. Sie zeigt aber, dass Paul Bonatz den Vorrang des Gebäudezwecks bei seiner Planung hingenommen hat

LG Stuttgart, Urteil vom 20.05.2010, AZ: 17 O 42/10

Mit dieser Auffassung wäre voraussichtlich auch das OLG an die Sache herangetreten: Die geplanten Änderungen betreffen die Seitenflügel (Abriß) und die Große Schalterhalle (Änderung). Diese grundsätzlich zustimmungsbedürftigen Maßnahmen dienen aber dem nachhaltigen Funktions-und Nutzungsinteresse des Bauherrn und betreffen Teile des Werks welche nach allgemeiner Ansicht den Charakter des Gebäudes nicht so verändern, dass das Werk als solches nicht mehr erkennbar oder deutlich verfälscht würde. Die Maßnahmen beschränken sich insoweit auch nur auf das Notwendige. Der Kernbau bleibt erhalten.

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Freilich könnte man dem entgegen, dass bereits die vorhandene U-Form des Gebäudes gestalterisch und funktionell nicht zwingend gewesen sei. Ihr Aussagegehalt könnte sich z.B. - aus der Zeit der Entstehung heraus durchaus verständlich- reflektierend auf ältere öffentliche Prachtbauten wie Schlösser (Versailles, Neues Schloß etc.) und somit auf die überragende Bedeutung des Neubaus für die moderne Welt bzw. ihre Bürger beziehen. Diese Aussage (sofern sie interpretatorisch zulässig ist) wäre durch den Abriß der Seitenflügel genommen.

Aber auch dann mag der Realist dem Antragsteller hier keine größeren Erfolgsaussichten einräumen: So wünschenswert die Erhaltung des Gebäudeensembles auch wäre, die Änderungen beschränken sich bei einer Von-Außen-Sicht auf das Notwendige, zumal nach Feststellungen des Landgerichts (siehe oben) dem Hauptteil eine erheblich größere Bedeutung und Beachtung zukommt als den Seitenflügeln.

Quelle OLG Stuttgart via justiz.bw: Urheberrecht des Architekten: Stuttgart 21

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