Filesharing: Auskunft nach §34 BDSG unzuverlässiger als Auskunft nach §101 UrhG?

In einem Rechtsstreit vor dem AG Charlottenburg, Berlin, hat das Gericht am 20.05.2011 entschieden, dass eine Abmahnung wg. Filesharing gerechtfertigt war, weil es dem Beklagten nicht gelungen sei, den Beweis des Klägers zu erschüttern, der Beklagte habe eine bestimmte IP-Adresse genutzt.

In dem Urteil (via initiative-abmahnwahn.de) wurde eine interessante, wenngleich unseres Erachtens falsche Beweiswürdigung vorgenommen.

Dass in einer Selbstauskunft nach §34 BDSG die IP-Adresse mit xx.xxx.xxx.124 angegeben wird, stellt einen offensichtlichen Zahlendreher und somit Schreibfehler dar.

AG Charlottenburg, 220 C 224/10

Wie das Gericht zu dieser Aussage kommt, ist kaum nachvollziehbar, jedenfalls fehlerhaft.

Das Gericht bezog sich dabei zunächst auf die ermittelte IP-Adresse des Filsesharing-clients durch die von der Rechteinhaberin beauftragte Firma und stellte fest, dass deren Ermittlungen mithilfe einer Software "gerichtsbekannt" zuverlässig seien.

Mit Hilfe dieser IP-Adresse machte die Rechteinhaberin einen Auskunftsanspruch gegen die Dt. Telekom als Zugangsanbieter gem. §101 UrhG geltend um herauszufinden, welcher Person die IP-Adresse im damaligen Angebotszeitpunkt zugeordnet war.

Die Telelom erteilte Auskunft und teilte Name und Adresse des Beklagten als Inhaber der seinerzeit zugeordneten IP-Adresse xx.xxx.xxx.214 mit.

Der anwaltlich nicht vertretene Beklagte wiederum verlangte nicht ungeschickt eine Selbstauskunft nach §34 BDSG. Auch diese Auskunft erteilte die Telekom, gab als seinerzeit zugeordnete IP-Adresse aber eine andere IP-Adresse, nämlich die IP-Adresse xx.xxx.xxx.124 an.

Offensichtlich handelte es sich um zwei verschiedene IP-Adressen. Als Folge wäre der Beklagte, belegt durch die Auskunft nach §34 BDSG, nicht Inhaber der seinerzeit festgestellten IP-Adresse gewesen, die Klage hätte wegen der Beweislast der Klägerin abgewiesen werden müssen

Was machte nun das Gericht? Es stellte fest, dass es sich bei dem Ergebnis der Selbstauskunft nach §34 BDSG um einen "offensichtlichen" Schreibfehler handelte - ohne jedoch im geringsten eine Begründung zu liefern.

Wir halten diese Beweiswürdigung und darauf basierend, das Urteil, aus mehreren Gründen für falsch.

Technische Plausibilität

Über die technische Expertise des Gerichts und der werten Leser ist nichts bekannt. Deshalb folgendes: IP-Adressen setzen sich aus mehreren Nummernblöcken zusammen, wobei die ersten zwei oder drei Nummernblöcke den "Inhaber" eines IP-Adressraums kennzeichnen, z. B. die deutsche Telekom, und zumindest der letzte Nummernblock um den es hier geht, vom jeweiligen Anbieter selbst verwaltet und verteilt wird. Beide Auskünfte sind hier also technisch gleich plausibel, da der gleiche (Zugangs-)anbieter feststeht. Wäre ein Zahlendreher im ersten oder zweiten Nummernblock passiert und der IP-Adressrauminhaber nicht der jeweilige Zugangsanbieter gewesen, kann die Vermutung bestehen, dass hier tatsächlich ein Zahlendreher vorliegt. So aber kann der Zahlendreher im letzten Teil, wir erinnern uns: 214 zu 124, bereits im Auskunftsverfahren nach §101 UrhG passiert sein.

Beweiskraft und Beweislast

Beide Auskünfte sind, wie zu vermuten ist, durch sogenannte private Urkunden, §416 ZPO, erteilt worden. Ihnen kommt grundsätzlich die gleiche Beweiskraft zu, wobei die Richtigkeit des Inhalts dadurch nicht belegt würde sondern nur die Herkunft des Ausstellers der Urkunde.

Es besteht zudem keine Vermutung darüber, dass eine Auskunft nach §101 UrhG "richtiger" ist als eine nach §34 BDSG. Die Klägerin ist aber beweisbelastet und hätte die Klage -ohne weiteres Vorbringen- wegen der Beweislastregel verloren.

Fehlbeurteilung des Gerichts

Wie es zu dieser, aus hiesiger Sicht eklatanten, Fehlbeurteilung gekommen ist, ist nicht ersichtlich. Hinzuweisen ist darauf, dass der Beklagte nicht anwaltlich vertreten war. Offenbar haben ihm die nötigen Kenntnisse gefehlt um das Gericht sowohl inhaltlich als auch prozessual auf die Folgen der Auskunft nach §34 BDSG hinzuweisen und zumindest hierüber das Gericht zu einer Äußerung zu zwingen. Das Gericht unterlag hier möglicherweise dem Fehlschluß, dass der Beweiswert der Selbstauskunft nicht so hoch sei wie jener der Auskunft nach §101 UrhG.

Da der Beschwerdewert für eine Berufung nicht erreicht ist, wird der Beklagte voraussichtlich mit den negativen Folgen des Urteils leben müssen.

Fazit: Auch hier ist wieder eine Neigung mancher Gerichte zu bemerken, die angeblichen Ansprüche der Rechteinhaber als gegeben vorauszusetzen, was bereits das OLG Köln in seiner Filesharing-Entscheidung vom 24.03.2011 kritisiert hatte.

Neu geschrieben

Hauptnavigation