Filesharing: Schlimmer geht immer

Das Update: Der Betroffene aus dem Filesharingverfahren, das ich kürzlich besprochen hatte, Dr. F. aus Berlin, hat sich bei mir gemeldet. Eigentlich dachte ich, es könnte nicht schlimmer kommen, aber es kam schlimmer. So ähnlich könnte man meinen Eindruck von dieser Geschichte beschreiben. Was war passiert?

Wer möchte, kann zunächst den mittlerweile leicht mißverständlichen alten Artikel zum Thema Filesharing und §34 BDSG lesen, für alle anderen geht es hier weiter:

Ich dachte, es könnte nicht schlimmer kommen …

Ein paar Daten müssen nach den Angaben von Dr. F. richtiggestellt, bzw. ergänzt werden, was wie gesagt, das Urteil und wie es ergangen ist, nicht besser macht. Der betroffene Dr. F. aus Berlin wurde abgemahnt, weil er angeblich zu Weihnachten, am 25.12.2009 am sehr frühen Morgen per Filesharing eine Computerspieldatei ("race on") heruntergeladen und damit gleichzeitig wieder zum Download angeboten haben soll. Dr. F war sich keiner Schuld bewußt, er war sich aufgrund bestimmter Umstände ganz sicher, dass weder er noch jemand aus seinem Haushalt fremde Software gezogen hatte. Er ist technisch beschlagen, Naturwissenschaftler und das folgerichtige Denken gewohnt. Folglich, so dachte er, könne er sich selbst verteidigen, zumal er zur Minimierung seines Kostenrisikos - ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht, aber rechtsverbindlich, eine modifizierte Unterlassungserklärung abgegeben hatte.

Die Kanzlei, Haas & Partner, welche im Verfahren die behauptete Rechteinhaberin, die BitComposer Games GmbH, vertrat, fertigte also den üblichen Klageschriftsatz mit der üblichen Behauptung, dass die verwendete Software zur Bestimmung der Anbieter in peer-to-peer-Netzwerken (Filesharing) nachweislich zuverlässig sei. Fehler würden keine passieren. Der Beklagte Dr. F. habe also unter der seinerzeitigen IP: ...214 den Download begangen und die inkriminierte Datei zu einem bestimmten Zeitpunkt ebenfalls zum Download bzw. Filesharing angeboten. Während des Verfahren vor dem Amtsgericht so lief, unternahm der Beklagte einiges. Er las sich ein und fertigte eigene Schriftsätze.

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Nachdem dem Beklagten keine Auskunft von der Telekom erteilt wurde, welche IP-Adresse er denn seinerzeit gehabt hätte, der Tenor lautete in etwa: "Sorry, haben wir jetzt nicht mehr.." wandte sich der Beklagte letztlich zum Zwecke der Selbstauskunft nach §34 BDSG an die Kanzlei Schutt Waetke aus Karlsruhe, welche die ursprünglichen Datenerfassungen betreute. Diese lieferte sodann einen Datensatz per Fax, der ersichtlich durch eine Software tabellarisch generiert war. Dort allerdings fand sich kein Hinweis auf eine IP mit der Endung 214, sondern nur eine mit der IP-Endung 124.

Daraus ergeben sich Fragen, nämlich, welche IP denn nun wirklich von der Software erfasst wurde: Diejenige mit der Endung 124 oder diejenige mit der Endung 214? Hier bestand Aufklärungsbedarf.

Zur Auskunftserteilung beim LG Köln im Rahmen des §101 UrhG, welches erst eine Zuordnung zu einem bestimmten Anschlußinhaber ermöglichen sollte, wurde offensichtlich die IP mit der Endung 214 eingereicht. Daraufhin erteilte die Telekom -angeblich- Auskunft unter Bekanntgabe der Daten des Anschlußinhabers, nämlich Dr. F. Aus dem klägerseits vorgelegten, großzügig geschwärzten Dokument ergab sich aber nicht, dass Dr. F. der Anschlußinhaber war, sondern nur, dass die IP mit der Endung "214" abgefragt wurde. Ein Beleg, dass Dr. F. der Anschlußinhaber war, fehlte. Was vorhanden war, war lediglich die unbewiesene Behauptung der Klägerin.

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Der Beklagte bestritt weiterhin folgerichtig nach Kenntnis der Selbstauskunft unter Dokumentvorlage die Anschlußinhaberschaft und den Vorwurf der Rechtsverletzung.

Folgende Tatsachen sind also bis jetzt bekannt:

  1. Die IP aus der Selbstauskunft stimmt nicht mit der IP der Telekomauskunft überein;
  2. Die vorgelegte Telekomauskunft weist keinen ersichtlichen Zusammenhang mit dem Beklagten auf;
  3. Der Beklagte bestreitet.

Nach den Beweislastregeln war die Klägerin hier beweisfällig für den Umstand, dass die IP 214 auch diejenige war, von der aus der Download angeboten wurde und dass diese dem Beklagten zugeordnet werden konnte. Es wurde klägerseits Beweis angeboten durch Beiziehung der Auskunftsakte bzw. durch Zeugnis des vorigen Anwalts Timo Schutt, wobei nicht klar ist, was dieser mit welcher Sinneswahrnehmung bezeugen sollte. Dem ist das Gericht aber nicht gefolgt.

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Das Gericht hätte hier nachfassen müssen, denn diese Beziehung IP-Adresse und Anschlußinhaberschaft wurde mit guten Gründen bestritten. Die Klägerin hatte nach Dr. F. keinerlei Dokumente (z.B. Telekomauskunft) in das Verfahren eingeführt, aus dem der Name des Beklagten ersichtlich wurde. Das heißt, es wurde nicht ein einziges Dokument vorgelegt, aus dem sich die Zuordnung der IP-Adresse mit der Endung 214 zum Beklagten ergab! Ferner geben die unterschiedlichen IP's zur Vermutung Anlass, dass die falsche IP zur Beauskunftung eingereicht wurde. Das ist nach allgemeinen Denkgesetzen mindestens genauso wahrscheinlich, wie ein "Zahlendreher" in der Auskunft der Kanzlei Schutt Waetke. Es blieb also bei der bloßen Behauptung durch die Klägerin. Einen Spielraum hat der Richter da eigentlich nicht. Er muss Beweis erheben. Tatsächlich kam es noch schlimmer:

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Nun war es aber so, dass die Referatsbesetzung bei Gericht wechselte und der neue Richter ( RiAG T.) nach äußerst kurzer zweiter Verhandlung das Verfahren beendete, wie im oben verlinkten älteren Artikel beschrieben. Ich zitiere länger aus dem Urteil:

Dies ergibt sich aus der von der Klägerin lückenlos vorgelegten Beweiskette. Die von der Klägerin zur Feststellung von Urheberrechtsverletzungen beauftragte Firma ...hat am 25.12.2009 um 1 :27 Uhr festgestellt, das von dem Router mit der IP-Adresse 87.151.44.214 das geschützte Spiel .... in einer Tauschbörse (Peer-to-Peer-Netzwerk) dem öffentlichen Zugriff zur Verfügung gestellt wurde. Nach Auskunft der Deutschen Telekom ist die festgestellte IP-Adresse dem Beklagten zugewiesen. Dass in einer Selbstauskunft nach § 34 Bundesdatenschutzgesetz die IP-Adresse mit 87.151.44.124 angegeben wird, stellt einen offensichtlichen Zahlendreher und damit Schreibfehler dar. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass tatsächlich diese in der Selbstauskunft aufgeführte IP-Adresse von der Firma ... als Urheberrechtsverletzungsquelle festgestellt wurde.

Hervorhebung durch uns. Natürlich nicht. Die Selbstauskunft basiert auf dem vermutlichen Originaldatensatz mit der IP-Endung 124. Man kann sich nur an den Kopf fassen. Das Gericht liefert die Begründung, warum die Klage abweisungsreif ist und spricht den Anspruch - ohne Beweiserhebung- sodann zu. Aber weiter gehts:

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Soweit der Beklagte behauptet, er sowie seine Familienangehörigen hätten niemals über eine Tauschbörse Daten, Spiele oder Musik ausgetauscht und auch nicht die hierfür notwendige Software installiert bzw. entsprechende SystemeinsteIlungen verändert, so ist dies unglaubhaft, da aufgrund der feststehenden Tatsachen der Beklagte tatsächlich an das Peer-to-Peer-Netzwerk angeschlossen war und damit das Computerspiel ... zum Download zur Verfügung gestellt hat.

Es gab weder eine lückenlose Beweiskette noch feststehende Tatsachen. Hier wird der gleiche, offensichtliche Fehler schlicht weitergetragen. Dass das Gericht die Ausführungen des Beklagten als unglaubhaft benennt, ist nicht nachvollziehbar. War das Gericht hier voreingenommen oder schlicht, schlampig?

Letztlich bleibt zu sagen, dass das Gericht hier nach meiner Ansicht mehrere schwere Fehler begangen hat. Das Urteil hätte so nicht ergehen dürfen. Es ist zumindest tröstlich zu wissen, dass den mir bekannten Gerichten, Richter und Richterinnen, solche Fehler nicht unterlaufen.

Eine nachfolgende Anhörungsrüge seitens des Beklagten scheiterte. Nachdem der Rechtsweg nunmehr erschöpft ist (Berufung kann keine eingelegt werden), hat der Beklagte Verfassungsbeschwerde aufgrund Verletzung seiner Grundrechte eingelegt.

Wie bereits gesagt: Einige Gerichte scheinen nach wie vor allzu leicht bereit zu sein, den Behauptungen der Klägerseite in Filesharingangelegenheiten Glauben zu schenken, was auch der Kollege Stadler immer wieder bedauert. Näheres auch bei uns dazu, siehe Filesharing und Gerichtspraxis.

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