Wie schnell muß ein Arbeitnehmer bei Rufbereitschaft am Arbeitsort sein?

Das BAG hatte den Fall einer Rufbereitschaft zu entscheiden, in der der Arbeitgeber anordnete, der Arbeitnehmer habe sich bei Ruf innerhalb von 20 Minuten am Arbeitsort einzufinden.

Das BAG befand, dass diese zeitliche Vorgabe das Direktionsrecht (= Weisungsrecht) des Arbeitgebers überschreite. Die einschlägigen Vorschriften des Caritasverbandes sprächen allenfalls von "kurzfristiger" Arbeitsaufnahme ohne Nennung eines Zeitrahmens. Mittelbar wird aus diesem Urteil klar, dass das BAG den Zeitraum von 20 Minuten als zu Kurz empfindet. Hätte es diesen Zeitraum als angemessen empfunden, hätte das BAG von einer zulässigen Auslegung oder ähnlichem gesprochen. Es ist also davon auszugehen, dass bei ähnlichen Vereinbarungen mindestens 30 Minuten noch unter kurzfristig fallen dürften, möglicherweise bis zu 45 Minuten. Das BAG weist nämlich darauf hin, dass es für den Fall der notwendigen sofortigen oder sehr kurzfristigen Verfügbarkeit geeignetere Möglichkeiten (Bereitschaftsdienst etc.) gäbe.

Quelle: BAG Pressemitteilung 08/02 vom 31.01.2002
Arbeitsaufnahme bei Rufbereitschaft

Der Kläger ist als Krankenpfleger im Funktionsbereich Anästhesie des Krankenhauses der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden vereinbarungsgemäß die Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anwendung. Der Kläger wird seit dem 1. April 1998 zur Rufbereitschaft herangezogen. Bei Rufbereitschaft hält sich der Mitarbeiter auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einem von ihm selbst gewählten, dem Arbeitgeber anzuzeigenden Ort auf, um bei Abruf die Arbeit kurzfristig aufzunehmen (§ 7 Abs. 3 der Anlage 5 zu den AVR). Die Beklagte hat am 30. März 1998 angeordnet, daß bei Rufbereitschaft die Arbeit innerhalb von 20 Minuten nach Abruf aufgenommen werden müsse. Dies sei erforderlich, um eine ordnungsgemäße Behandlung der Patienten in Notfällen sicherzustellen und Haftungsrisiken auszuschließen. Der Kläger benötigt ca. 25 bis 30 Minuten, um von seiner Wohnung zum Arbeitsplatz zu gelangen. Er meint, die Beklagte habe durch die Anordnung vom 30. März 1998 die Grenzen ihres Direktionsrechts überschritten.

Er sei bei Rufbereitschaft lediglich verpflichtet, die Arbeit "kurzfristig" nach Abruf aufzunehmen, nicht jedoch innerhalb einer von der Beklagten genau festgelegten Zeitspanne. Zu der zeitlichen Vorgabe von 20 Minuten sei die Beklagte deshalb nicht berechtigt. Das Arbeitsgericht hat der auf Feststellung der Unwirksamkeit der Anordnung gerichteten Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg.

Der Kläger ist nicht verpflichtet, bei Rufbereitschaft die Arbeit innerhalb der von der Beklagten festgesetzten Zeitspanne nach Abruf aufzunehmen. § 7 AVR regelt die Voraussetzungen zur Anordnung von Rufbereitschaft abschließend. Diese Bestimmung räumt dem Arbeitgeber nicht das Recht ein, die Zeit zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme im voraus und für alle Fälle auf eine bestimmte Höchstdauer zu beschränken. Dem Begriff "kurzfristig" in § 7 Abs. 3 der Anlage 5 zu den AVR ist dies nicht zu entnehmen. Eine solche zeitliche Beschränkung liefe dem Wesen der nur bei erfahrungsgemäß geringem Arbeitsanfall zulässigen Rufbereitschaft zuwider. Je nach Sachlage können zwischen Abruf nicht im Betrieb anwesender Arbeitnehmer und Arbeitsaufnahme unterschiedlich lange Zeiten liegen, die alle als "kurzfristig" anzusehen sind.

Ist der Arbeitgeber aus betrieblichen Gründen darauf angewiesen, daß der Arbeitnehmer - zB in Notfällen - spätestens innerhalb von 20 Minuten die Arbeit aufnimmt, muß er sich der geeigneten, nach den AVR zulässigen Arbeitszeitregelung bedienen. Neben der Rufbereitschaft kommt insbesondere der Schichtdienst in Betracht oder der Bereitschaftsdienst nach § 7 Abs. 2 der Anlage 5 zu den AVR, der sich von der Rufbereitschaft dadurch unterscheidet, daß der Arbeitnehmer sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit in der Einrichtung aufhalten muß, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen.

BAG Urteil vom 31. Januar 2002 - 6 AZR 214/00 -

Neu geschrieben

Hauptnavigation