Über die Bestimmtheit und Bestimmbarkeit von Grunddienstbarkeiten

Der freie Blick und die anderthalbgeschossige Bauweise

Die Kläger begehrten den Teilabriß eines Nachbargebäudes, weil dieses ihnen die Sicht auf die Alpenkette und das Isartal nehmen würde. Die Kläger führten an, die Beklagten hätten zwei volle Geschosse verbaut, obwohl zu Gunsten der Kläger eine Grunddienstbarkeit bestünde, dass nur in anderthalbgeschossiger Bauweise gebaut werden dürfe. Der BGH gab den Klägern insoweit recht, als dass die Beklagten ihr Haus auf eine anderthalbgeschossige Bauweise zurückbauen müßten. Hierfür seien die Bestimmungen der Bayerischen Bauordnung maßgeblich.

Hinweis: Bestimmungen in Verordnungen oder Gesetzen können sich im Laufe der Jahre ändern. Zur Auslegung einer Grunddienstbarkeit wie dieser ist es unbedingt erforderlich die gültige Bauordnung zum Zeitpunkt der Eintragung der Grunddienstbarkeit zu kennen, weil diese im Zweifel Grundlage der Auslegung der Grunddienstbarkeit ist.

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Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 14/2002

Blick auf Alpenkette und Isartal

Der für Grundstücksfragen zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte über die Klage der Eigentümer eines in Hanglage über dem Isartal gelegenen Grundstücks zu entscheiden, die Nachbarn zu einem teilweisen Abriß ihres Wohnhauses zu verurteilen. Zu Lasten des tiefer am Hang befindlichen Nachbargrundstücks war eine Grunddienstbarkeit bestellt, die dessen Bebauung auf eine "eineinhalbgeschossige" Bauweise beschränkte.

Die Kläger sahen durch einen Umbau der Nachbarn ihren Blick auf die Alpen und in das Isartal verstellt und verlangten von diesen, das Gebäude bis auf eine Höhe von 5 m über der Fußbodenoberfläche des Erdgeschosses abzutragen. Das Landgericht München II hatte die Klage abgewiesen, da eine "eineinhalbgeschossige" Bauweise inhaltlich zu unbestimmt sei.

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Das Oberlandesgericht München hat die Dienstbarkeit als wirksam angesehen und ein Sachverständigengutachten darüber eingeholt, welche Höhe der First des Nachbargebäudes allenfalls erreichen dürfe, wenn der Blick auf Alpen und Isar für eine im Wohnzimmer der Kläger aufrechtstehende, durchschnittlich große Frau, deren Augenhöhe auf 1,60 m veranschlagt wurde, freibleiben solle. Es hat die Beklagten zum Abriß des Umbaus bis auf eine Höhe von 667,37 m über dem Meeresspiegel verurteilt.

Der Bundesgerichtshof hat zwar die Auffassung des Oberlandesgerichts bestätigt, daß eine Baubeschränkung auf "eineinhalbgeschossige" Bauweise Inhalt einer Grunddienstbarkeit sein könne und inhaltlich bestimmt genug sei. Er hat den Eigentümern des begünstigten Grundstücks aber nicht das Recht zugebilligt, von den Beklagten die Einhaltung einer bestimmten Firsthöhe des Hauses zu verlangen.

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Maßgeblich für die Beurteilung seien die Vorschriften der Bayerischen Bauordnung. Danach liegt ein Vollgeschoß vor, wenn das Geschoß über mindestens zwei Dritteln seiner Grundfläche eine Höhe von mindestens 2,30 m erreicht. Was unter einer eineinhalbgeschossigen Bauweise zu verstehen ist, wird hingegen nicht definiert. Die Kläger könnten daher nur erreichen, daß das Haus der Beklagten hinter zwei Vollgeschossen zurückbleibe. Weiteren Einschränkungen ihrer Baufreiheit unterlägen die Nachbarn nicht.

Die Gewähr dafür, daß der gewünschte Ausblick erhalten bleibe, biete die Grunddienstbarkeit nicht. Denn eine solche Beschränkung sei aus dem Grundbuch nicht zu ersehen. Auf dessen Inhalt müsse sich der Rechtsverkehr aber verlassen können. Der Bundesgerichtshof hat die Beklagten daher verurteilt, ihr Gebäude soweit abzutragen, bis dieses im Obergeschoß auf mehr als einem Drittel der Geschoßfläche hinter einer Höhe von 2,30 m (gerechnet von der fertigen Fußbodenoberkante bis zur fertigen Dachaußenhaut) zurück bleibt. Auf welche Weise die Beklagten dieses Ergebnis erzielen, bleibt ihnen überlassen.

Urteil vom 8. Februar 2002 - V ZR 252/00

Karlsruhe, den 8. Februar 2002

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