Urheberrechtliche Erwägungen des OLG in Sachen Stuttgart 21

Nun liegen die urheberrechtlichen Entscheidungsgründe in Sachen des Urheberrechtsstreits um den Stuttgarter Hauptbahnhof vor. Der 4. Senat des OLG Stuttgart war der Ansicht, dass die Nutzungsinteressen der Bahn die urheberrechtlicheen Interessen des Architekten überwiegen.

Dabei erkannte der vierte Senat, Aktenzeichen: 4 U 106/10, durchaus an, dass es sich bei dem Gebäude um ein Werk der Baukunst mit "überragendem" Rang handele

Trotzdem […] überwiegen im hier vorliegenden Sachverhalt die Eigentümerinteressen der Beklagten.

Man sollte sich bei einer Beurteilung dieses Sachverhalts nicht von aktuellen Geschehnissen oder eigenen Interessen beeinflussen lassen, das ist insbesondere die Aufgabe der Richter. Womit also hat der Senat die überwiegenden Interessen der Bahn an einer Veränderung bzw. Teilabriss des Gebäudes begründet?

Ein wesentlicher Ankerpunkt ist sicherlich das (geänderte) Nutzungsinteresse der Bahn, welches im Widerstreit mit den Interessen des Urhebers am unveränderten Erhalt des Werks steht. Dass nach 85 Jahren seit der Errichtung eine Anpassung an die neuzeitlichen Bedürfnisse erforderlich und angemessen sein könne, sei auch vom Urheber eines Zweck- und Verkehrsbaus zu erwarten gewesen, so die Richter, zumal der Abriss des Nord- und Südflügels vor allem statische Gründe habe: Der neue Tiefbahnhof könne diese Lasten nicht tragen. Außerdem würde durch den neuen Bahnhof die Funktionalität der Flügel (und der großen Schalterhalle)zumindest teilweise entfallen.

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Die Verpflichtung der Bahn zur Bereitstellung einer modernen Infrastruktur sei ein weiterer gewichtiger Punkt. Dagegen sei in der gebotenen Abwägung das Urheberrecht des Architekten, welches in 16 Jahren auslaufe, geringer zu gewichten. Mit dieser Punkt der Abwägung hatte sich bereits das Landgericht Stuttgart intensiv auseinandergesetzt, siehe: LG Stuttgart: Urheberrecht des Architekten Bonatz, lit. dd) 1-5, AZ: 17 O 42/10.

Das sind, grob verkürzt, die Gründe, die für eine Interessenabwägung zugunsten der Bahn sprachen.

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Das alles ist rechtlich gut vertretbar, aber ein kleiner Nachgeschmack bleibt: Immerhin wurde der Bahnhof im Jahr 1987 in die Liste der Kulturdenkmäler nach §12 Denkmalschutzgesetz aufgenommen. Wie wäre zu entscheiden gewesen, wenn das ehedem unabhängige Landesdenkmalamt, aufgelöst 2004, noch existent gewesen wäre und eventuell neue beachtenswerte Aspekte eingebracht hätte? Nunmehr obliegt die Entscheidung über ein Einschreiten den jeweiligen Regierungspräsidien, denen die entsprechenden Denkmalsreferate untergeordnet sind. §15 des Denkmalgeschutzgesetzes lautet übrigens auszugsweise:

§15 Wirkung der Eintragung
(1) Ein eingetragenes Kulturdenkmal darf nur mit Genehmigung der Denkmalschutzbehörde
1. wiederhergestellt oder instandgesetzt werden;
2. in seinem Erscheinungsbild oder seiner Substanz verändert werden (…)

Kaum zu erwarten, dass das Stuttgarter Regierunspräsidium dem Votum des Gemeinderats entgegen gestanden ist. Aber Denkmalschutz ist nicht alles: Man muß auch mit der Zeit gehen, erkannten die Stuttgarter Richter.

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Woraus die Richter aber die in die Waagschale geworfene Pflicht der Bahn zur Bereitstellung einer "modernen" Infrastruktur ableiteten, wird nicht klar. Die bestehende Infrastruktur ist auch mindestens mittelfristig ausreichend, zumal die Einsparungseffekte für die Reisenden im Stuttgarter Bereich nicht ins Gewicht fallen.

Dass durch Stuttgart 21 eine Entwicklung Stuttgarts nach innen durch Gewinn von fast hundert Hektar Fläche möglich wird, ist zurecht nicht (ausdrücklich)angesprochen worden: Im vorliegenden Streit geht es nur um die Interessen der Eigentümerin und des Urhebers, nicht um übergeordnete Interessen oder Interessen anderer Beteiligter.

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