Reisekosten der Lehrer für Klassenfahrt

Manchmal hat man einfach zu wenig Phantasie, z.B. sich vorzustellen, dass Lehrer die Eigenkosten für eine Klassenfahrt selbst tragen müssten.

Die 11. Kammer des LAG Hamm hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob eine Verzichtserklärung auf Reisekostenerstattung einer Lehrerin "freiwillig" erfolgt sei.

Die Rechtsausübung des Landes ist wegen eines Verstoßes gegen das Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB unzulässig.

LAG Hamm, AZ: 11 Sa 1852/10

Mit Urteil vom 03.02.2011 entschied die Berufungskammer zugunsten der nicht verbeamteten Lehrerin. Der Schulleiter hatte die Klassenfahrt genehmigt. Auf dem Vordruck war aber gleichzeitig vorgesehen, dass die Klassenfahrt nur dann stattfindet, wenn die Klassenlehrerin auf eine Reisekostenerstattung verzichtet. Die Lehrerin wollte ihrer Klasse die -übliche- Klassenfahrt ermöglichen und unterschrieb die Verzichtserklärung. Später wiederrief sie die Verzichtserklärung und begehrte Kostenerstattung. Das Land als Dienstherr lehnte ab. Das wertete das Landesarbeitsgericht als Verstoß gegen die Fürsorgepflichten des Dienstherrn.

Unter Nachweis weiterer Urteile wies das Gericht darauf hin, dass unter anderem die §15 VI der Allgemeinen Dienstordnung für Lehrerinnen und Lehrer (NRW) vorsehe, dass Klassenlehrer "in der Regel" gehalten seien, an Klassenfahrten teilzunehmen:

In der Situation des August/September 2007 war durch die Vorgaben des beklagten Land für die Klägerin ein mit dem Fürsorgegedanken nicht vereinbarer Konflikt heraufbeschworen[…] Die Erklärung des Schulleiters und die Vorgabe in 3.3 WRL belegen, dass die Klägerin ohne Verzichtserklärung die Dienstreisegenehmigung nicht erhalten hätte. Damit stand die Klägerin bei Unterzeichnung des Dienstreiseantrags am 31.08.2007 in dem bereits aufgezeigten Loyalitätskonflikt. Sie konnte dem beklagten Land aus seiner "finanziellen Klemme" helfen, auf ihre nach der Rechtsordnung vorgesehenen Erstattungsansprüche verzichten und durch den Einsatz von gut 200,00 € eigener Geldmittel die Durchführung der genehmigten Klassenfahrt ermöglichen. Oder sie konnte ihre Klasse "im Stich lassen", dies damit begründen, dass sie für die Klassenfahrt nicht aus eigenen Mitteln 200,00 € aufwenden wolle, und so die Durchführung der geplanten Klassenfahrt vereiteln oder eine Durchführung der Fahrt ohne Klassenlehrerin und mit der Betreuung durch andere – verzichtswillige – Lehrkräfte bewirken. Gegenüber den Schülern ihrer Klasse und deren Eltern und auch in der Wahrnehmung von Schulleitung und Kollegium würde sie damit als Lehrkraft in Erscheinung treten, die ihre Dienstpflichten aus materiellen Eigeninteressen nicht optimal und der berechtigten Erwartung entsprechend ausfüllt. Fehlender Verzichtswille könnte im Kollegenkreis als unsolidarisch und unkollegial wahrgenommen werden, wenn andere Lehrkräfte sich bereit finden, Klassenfahrten im Interesse der Schülerschaft unter Hinnahme entsprechender finanzieller Einbußen zu begleiten, während die Klägerin einen derartigen Beitrag verweigert. Die Klägerin bei Beantragung der Klassenfahrt im Sommer 2007 durch die Vorgabe der Verzichtserklärung entsprechend 3.3 WRL diesem Konflikt auszusetzen, verletzt die Fürsorgepflicht des beklagten Landes und begründet den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung.

Meinung: Soweit in Auszügen die juristische Begründung, der sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zuzustimmen ist. Die Sache geht in die Revision (siehe Link). Erstaunlich daran ist, dass derlei kein Einzelfall zu sein scheint: Klassenfahrten sind seit langem fester Bestandteil der Schullaufbahn. Nahezu jede(r) Schüler(in) freut sich auf eine solche, die Eltern, die ihrerseits mindestens eine Klassenfahrt genossen hatten, erwarten das ebenfalls. Nahezu jeder weiß, wie persönlichkeitsbildend, abgesehen vom fachlichen Gehalt der Reise, solche Klassenfahrten sein können. Auch die Lehrer lernen ihre Schützlinge besser einzuschätzen. Die Belastung für die Lehrkräfte ist dabei höher als im normalen Unterricht.

Alle Sonntagsreden zur Bildungspolitik und zur Förderung der Bildung werden hier ins Gegenteil verkehrt - oder nicht? Das Paradigma der Bildungspolitik ist seit Jahren die Förderung von als berufsnah verstandener (Aus-)Bildung, sprich, die Förderung von Hoch- und Fachschulen und Universitäten. Augenscheinlich mit dem Vorgabe, "gezielt Mißstände abzuschaffen" oder den Bedarf an spezialisierten Arbeitskräften zu decken.

Das greift indes viel zu kurz. Bis dahin nämlich müssen die Studenten an den Unis und Fachhochschulen sowie die gewünschten Ausbildungswilligen in den Betrieben erst einmal bildungsfähig und bildungswillig sein. Hierzu leisten allgemeinbildende Schulen einen unverzichtbaren Beitrag.

Klassenfahrten gerade der unteren Klassen vermitteln vielen Kindern zum ersten Mal die Möglichkeit, fern von der Familie sich selbst in fremder Umgebung zu erfahren und sich mit dieser aktiv auseinanderzusetzen. Kein Fernsehen, kein Handy, dafür Wandern, Museen, Freibadbesuche und andere Arten körperlicher und geistiger Beschäftigung. Ich halte Klassenfahrten daher für unverzichtbar, da sie auch die Bildungswilligkeit der Schüler erhöhen. Das wird in verschiedenen Bundesländern offenbar nicht so gesehen. Wer Bildung aber nur als Ausbildung begreift und dadurch einen "Markt" bedienen möchte, verkennt das Bildungsziel der allgemein bildenden Schulen vollkommen.

"Investitionen" in frühe Allgemeinbildung lohnt sich zudem, auch wenn man die Zahlen des Nobelpreisträgers James Heckmann kritisch sehen kann. Generell ist es sicherlich einleuchtend, dass jede frühere Förderung im Sinne einer Kosten-Nutzen-Relation besser ist als eine spätere Förderung. Hiermit scheinen aber sowohl Bundes- als auch Landespolitiker ein Problem zu haben: Die Auswirkungen zeigen sich erst nach Jahren, konkrete Ergebnisse lassen sich nicht in einer Wahlperiode vorweisen, so wie sich die Auswirkungen der seit Jahrzehnten gedrosselten Bildungsgelder auch erst jetzt zeigen.

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