Sozialauswahl des Arbeitsgebers gerichtlich korrigierbar?

Das Landesarbeitsgericht Köln hat in einem kürzlich veröffentlichen Urteil vom 18.02.2011 die Sozialauswahl des Arbeitsgebers "gekippt" und eine eigene Entscheidung getroffen. Zurecht?

Die Entscheidung des LAG Köln zur Sozialauswahl des Arbeitgebers wirft Fragen auf:

Der Sinn dieser erhöhten Darlegungsanforderungen besteht auch darin, einen Missbrauch des Kündigungsrechts auszuschließen.

LAG Köln, AZ: 4 SA 1122/10

Was war passiert? Der 53 Jahre alte Kläger war Führungskraft in einem Unternehmen. Ein 35-jähriger Mitarbeiter stand auf der gleichen Hierarchieebene. Das Unternehmen beschloss, die beiden Abteilungen zusammenzuführen und letztlich nur den Jüngeren zu behalten, der sodann beide Abteilungen leiten sollte. Der Jüngere hatte gegenüber zwei Kindern Unterhaltsverpflichtungen, während der Ältere keine Kinder hatte. Vom Alter abgesehen, waren beide, was Qualifikation, Betriebszugehörigkeit betrifft, vergleichbar, so dass nach §1 Abs.3 KSchG die Unterhaltsverpflichtungen des einen gegen das höhere Alter des anderen standen. Sofern der Arbeitgeber hier keinen groben Fehler begeht und diese Kriterien berücksichtigt, ist er grundsätzlich in seinem Ermessen frei.

Das Gericht stellte hierzu fest:

Alle vier Kriterien des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG sind prinzipiell gleichrangig. Keinem Kriterium kommt ein absoluter Vorrang zu (vgl. BAG 02.12.1999 NZA 2000, 531; 05.12.2002 NZA 2003, 731). Wenn der Arbeitgeber die vier zwingenden Rahmendaten ausreichend berücksichtigt hat, liegt es in seinem Wertungsspielraum, in einem Fall die Betriebszugehörigkeit in einem anderen das Alter bei einer nicht eindeutigen Auswahlentscheidung entscheiden zu lassen (vgl. BAG 16.05.1991 – 2 AZR 93/91). Ein solcher Wertungsspielraum ergibt sich heute bereits aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ("ausreichend").
Dieses darf jedoch nicht dazu führen, dem Arbeitgeber einen so weiten Wertungsspielraum zuzubilligen, dass das Gebot der sozialen Auswahl, welches unter anderem das grundrechtliche Sozialstaatsgebot konkretisiert und damit eine zwingende Schutzvorschrift darstellt, gänzlich unterlaufen wird und praktisch jede Auswahlentscheidung akzeptabel wird (vgl. dazu auch Künzl ZTR 1996, 392)
Im vorliegenden Fall ist dieser Wertungsspielraum überschritten.

Das Gericht bewertete in der Folge im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 06.11.2008 Aktenzeichen: 2 AZR 701/07, die Arbeitsmarktchancen des Älteren und des Jüngeren und kam zum Schluß, dass der Ältere mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit KEINE Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätte, während der Jüngere im "besten Alter" sei und durch die frühzeitig erlangte Führungsposition seine Tüchtigkeit bereits unter Beweis gestellt hätte und somit selbst beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätte.

In diesem Zusammenhang spielen die Unterhaltsverpflichtungen des Jüngeren eine geringere Rolle als das Alter des Klägers, denn der Jüngere sei aufgrund seiner guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt aller Voraussicht nach in der Lage, seinen Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen, während der Ältere vermutlich arbeitslos bleiben würde.

Fazit: Die Entscheidung ist, soweit die Umstände bekannt sind, im dargelegten Fall vertretbar. Das LAG Köln hat, wohl beflügelt durch den Eindruck des Einzelfalls, der eine Kündigung rein aus Einsparungsgründen nahelegte, die Umstände des Einzelfalls gewichtet und mit obiger Begründung eine fehlerhafte Sozialauswahl des Arbeitsgebers angenommen.

Was das für die Zukunft heißt, bleibt abzuwarten. Immerhin ließe sich so das Kriterium des Alters, jedenfalls bei über 50-jährigen, stets gegen Unterhaltsverpflichtungen anderer ins Feld führen, was auf anderer Seite wieder zu einer unzulässigen Altersdiskriminierung der Jüngeren führen könnte. Das LAG hat daher die Revision zugelassen um eine Klärung der Wichtung der Kriterien des §1 Abs.3 KSchG herbeizuführen.

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